Reflexiv

We invite you to swim in some thinking water. Deep, shallow, dark or bright. Dive into the helmet, experience the river, the feed- me- fishes, the tables of content, poor images, the river again and two solitary walkers more...

Impressum

Redaktion: Master Studierende Diplom 2017. Support: Birgit Kempker, Website: Master Studierende Diplom 2017. Support: Esther Hunziker
© Institut Kunst – HGK FHNW, die AutorInnen und KünstlerInnen, Basel, 2017
www.fhnw.ch/hgk/iku, www.institut-kunst.ch

Reflexiv

reflexiv work 5
We invite you to swim in some thinking water. Deep, shallow, dark or bright. Dive into the helmet, experience the river, the feed- me- fishes, the tables of content, poor images, the river again and two solitary walkers, the knitted skin. Pivot, the picture-story, tools as prosthesis, ghost in the street. Enjoy the teaser. See, smell and listen to the three apes in front of borders. Listen to the last seven songs, to the dream-messenger, listen to the uncanny feeling, to the whispered translation of Chris Markers whispering germans. So this is it? Entendez vous la musique?
As thinking is personal and abstract at the same time, naked understanding is not the goal .... so, what is thinking? What is thinking together? Or with Hannah Arendt: first think as if nobody ever had thought before you, then start to learn from others.



die reflexive Arbeit 1
ist ein Gefäss, in dem die Kunst über sich selbst nachdenken kann via Künstler, eine Einladung, an diesem Denken teilzunehmen, Fragen zu stellen und in ein Gespräch zu geraten. Dieses Gefäss ist jeweils zu erfinden, deshalb ist die reflexive Arbeit ein Experiment. Es geht nicht um fertige Texte, Abhandlungen, Meinungen, theoretische Erörterungen, etc., sondern um eine jeweils spezifische Form der Selbstbestimmung. Sie muss nicht sprachlich sein, nicht schriftlich und auch nicht in irgendeinem Medium festgehalten werden. Entscheidend ist ihre Möglichkeit, Räume zu öffnen fürs Denken und Sprechen und einzustimmen in die mentalen Umgebungen der Werke. Eine reflexive Arbeit kann ein mündlicher Bericht über Lektüre sein, es können Interviews, Schlafprotokolle, Filme, Musik ... Mitschriften von nie stattgefundenen Treffen sein, wichtig ist: sie sollte sich öffnen wollen, ein Gesprächsangebot machen, sie sollte Lust haben und Lust darauf machen, etwas in die Karten zu schauen, sich in die Karten schauen zu lassen, ins Handwerk, in die Motivation, in das Nichtwissen, in den Antrieb und in die Wege der Kunst. Es geht um kein schweres schwitzendes Beackern und Zerhacken der eigenen Kreationen, sondern auch um den inspirierenden und leichten, mutigen und oft paradoxen, verblüffenden Funken beim Denken. Und ja, dieser denkende Moment wohnt dem Kunstwerk selbst natürlich bei und inne. Die reflexive Arbeit macht per leichter Verschiebung und Betonung darauf aufmerksam.



die reflexive Arbeit 2
ist ein Gefäss, dass jeweils neu zu erfinden ist. Es möchte Raum für Einsicht bieten, Innenansichten, Aussenansichten, Eigeneinsichten und ein Gespräch suchen mit anderen Ansichten und Sehansätzen. Zunächst möchte dieses Gefäss der Kunst und dem Kunstwerk, der künstlerischen Arbeit, Möglichkeit bieten, mit sich selbst zu sprechen und dann den Künstlern, ihre Positionen, Haltungen, Zweifel, Methoden und Vorbilder, Absichten, Geheimnisse und Motivationen, Lieben und Ängste denkend und somit denkend handelnd, auszuprobieren. Denken ist immer persönlich. Mut gehört dazu, Mut Fehler zu mache, nackt da zu stehen, sich zu verirren oder etwas zu denken, was weh tut. Die reflexive Arbeit möchte dies arteigen tun, mit Leichtigkeit abheben, schweben, fliegen oder auch mit Schwermut, ackernd wie ein Gaul. Sie weiss, dass sie in ihrer eigenen Zeit statt findet und für sie blind ist. Sie sucht nach Selbstbestimmung und Selbstsetzung und sie weiss, dass Sätze alleine noch gar kein Anzeichen von Bewusstsein sind. Oder denkt das Ornament? Der Mut und die Freiheit selbst zu denken ist nicht selbstverständlich und besonders in Ausbildungszusammenhängen ein kostbares und zu schützendes Gut. Die reflexive Arbeit kann in jedem Medium statt finden. Es kann eine Beerdigung sein, ein Konzert, eine Führung, Brot backen, Menschen bauen, Steine hauen, Sendemaste vergolden, Tarotkarten deuten, ... wichtig ist, dass sich in ihr das künstlerische Tun und Treiben selbst begegnet, begehbar ist und offen, Lust auf die sogenannte Begegnung hat mit dem was gerade nicht Kunst ist und Kunst als Kunst erkennen will.



die reflexive Arbeit 3
ist eine leichte und schöne Sache. Bevor sie leicht und schön ist kann sie hart, schwer und unangenehm sein. Meist läuft sie durch einen Nullpunkt von gar nichts will mehr gehen und verstehen, dann öffnet sich das Gate wie von alleine.



die reflexive Arbeit 4
gibt es nicht. Sie ist immer anders. Sie ist lebendig. Füttern und streicheln erlaubt!
Birgit Kempker

David Berweger

Traumprotokolle
Countdown

Das Protokoll eines Traums, den ich vor drei Jahren geträumt habe, beginnt mit einer Juryszene:


Sie wird aufgefordert, das Gebäude jetzt zu verlassen, da in kürze juriert wird.
Sie bleibt aber in ihrer Koje. Verhält sich still.
Oben auf der grossen Bockleiter gleitet ihr ein Gegenstand aus der Hand und fällt.
Das Geräusch verrät sie, sie wird entdeckt und erschossen.



Gemäss einer Studie von Traumforschern der Universität Montreal (Ende der neunziger Jahre) ist der Prüfungstraum neben dem Verfolgt werden einer der häufigsten Angstträume. Und oftmals wiederkehrend. Meist ist der Träumer schlecht vorbereitet oder hat ein Blackout. In diesen typischen Träumen offenbart sich ein Zusammenhang zwischen dem Individuellen und dem Kollektiven.

In meinem Traum kommt es gar nicht zur Jurierung – das Blackout tritt zu früh ein – und ich bin als Träumer nur stiller Beobachter. Aber auf irgendeine Art identifiziere ich mich mit dieser weiblichen Figur, deren Arbeit hätte juriert werden sollen. In einer Szene schlüpfe ich sogar in ihre Haut.
Am Ende dann, wieder separiert, verabschiede ich sie als toten Popstar:


Der ungeklärte Tod der Lana del Rey. Gerüchte über Exzesse, Alkohol, Drogen... Suicid?
...
Im Park (von der Villa) als Teil einer Gruppe sitze ich neben der Toten auf einer Bank.
Sie trägt dunkles langes Haar, ich küsse sie auf den Hals.
Ich bemerke die kurzen blauen Plastik Röhrchen, die ihre Nasenlöcher fortsetzen.
Noch jemand aus der Gruppe bemerkt die Röhrchen: man könne sie ja weg machen, Jude Law, auch in der Gruppe, hat seine weg gemacht.



Im Hinblick auf die bevorstehende Prüfungssituation der Jurygespräche führe ich bis zum Tag der Abgabe der reflexiven Arbeit Protokoll über meine Träume. Schon nach wenigen Tagen beginnt die Konzentration darauf, den Trauminhalt zu erinnern oder schriftlich zu fixieren, selbst Inhalt der Träume zu werden; neben dem grossen Dunstkreis «Kunst» und «Abschluss Arbeit- und Ausstellung».

Steffi, eine deutsche Systemstimme meines Computers spricht die Protokolle. Die Maschinenstimme, die mit der Intonation meist leicht daneben liegt, verleiht gerade intimen Situationen etwas Groteskes. Ihr fehlt die Fähigkeit zur Empathie. Dadurch wirkt sie neutralisierend auf den sehr persönlichen Inhalt der Träume. Die vorherrschende Ich-Perspektive (von mir als Träumer) der Traumprotokolle erfährt durch die Frauenstimme eine Verzerrung.

Die Audio Aufnahmen entsprechen in ihrer Flüchtigkeit am ehesten der Anstrengung des wachen Bewusstseins, das geträumte zu erinnern und somit sprachlich oder als Inhalt überhaupt zu fassen. Die Undeutlichkeit der Computerstimme bei bestimmten Wörtern oder Wendungen unterstütz dies zusätzlich. Ab dem Moment, wo bewusst erinnert wird, dass ein Traum stattgefunden hat, beginnt er sich aufzulösen. Auf diesen schmalen Horizont fällt die gesamte Intensität der aktiven Arbeitsleistung: Das hinüberretten des geistigen Inhalts, der ohne direktes Zutun meines wachen Bewusstseins produziert wurde.



Woche 29


Woche 30


Woche 31


Woche 32

Johannes Adrian Eiserlo

Der Helm


Der Helm,
Acrylglas verspiegelt, Metallgestell, 2017



Gebrauchsanleitung

Der Helm ruht mit der Öffnung nach unten auf einem Metallstativ mit fünf Greifarmen. Siehe Abb. 1
Umgehen Sie zunächst den Dodekaeder für eine Weile und betrachten ihn.

Nähern Sie sich bis auf eine halbe Armlänge.
Strecken Sie die Arme aus und greifen Sie den Helm mit beiden Händen von den Seiten.
Heben Sie ihn nun an.
Beachten Sie bitte das Gewicht des Helms.
Als nächstes positionieren Sie den Helm mit der Öffnung über Ihrem Kopf.
Schließen Sie jetzt ihre Augen und senken Sie den Helm langsam über Ihren Kopf. Siehe Abb. 2
Halten Sie ca. 5-10 Sekunden inne.
Öffnen Sie ihre Augen.
Sehen Sie sich in Ruhe um.
Beginnen Sie nach eigenem Belieben ihre visuellen Erfahrungen laut auszusprechen.
Behalten Sie den Helm mindestens 10 Sekunden auf.
Nach Benutzung setzten Sie ihn wieder vorsichtig zurück in die Stativhalterung.

Adrian Falkner

Mizaru, Kikazaru, Iwazaru

Othmar Farre

amigos para siempre

Robert Ireland

table of content

35 inkjet prints 40 x 60 cm
(click on images for translation)

www.robertireland.ch




































































Tamara Janes

How To Create a Poor Image

Meine reflexive Arbeit ist ein Werkzeug zur Herstellung qualitativ minderwertiger «Poor Images». Sie besteht aus einer Photoshop-Anwendung (.atn) und einer Gebrauchsanweisung (.pdf), die als Download zur Verfügung steht. Das Ziel ist die Umwandlung hochwertiger «Rich Images» in Poor Images und deren digitale Verbreitung durch Teilen auf sozialen Netzwerken. So trägt der Einzelne dazu bei, das Poor Image in der heutigen hochaufgelösten Welt vor dem Verschwinden zu be- wahren.

Die Photoshop-Anwendung ist der erste Schritt für eine Automation der Poor-Image-Produktion. Das Programm reduziert die Bildgrösse und fügt verschiedene Ebenen hinzu, die typische Fehler des JPEG-Formats simulieren, etwa sichtbare Pixel oder unnatürliche Farbigkeit. Ein quadrati- scher Pinsel bearbeitet die einzelnen Ebenen. Die Seitenverhältnisse des Bildes verzerren sich. Nun können die Nutzer das Bild als JPEG in schlechter Qualität abspeichern und auf den sozialen Netzwerken teilen: #poorimage.

Die Arbeit knüpft an der Videoinstallation «Save The Poor Image – Hommage an Hito Steyerl» an. In einer Welt voller ultrascharfer Bilder dient mir das Poor Image als Filter zwischen Realität und Fiktion.
Durch seine Makel kann es mir meine Wahrnehmung und Autonomie zurückgeben.

Über die Adresse sendapoorimage@gmail.com nehme ich selbstproduzierte Poor Images für die Sammlung entgegen.

→’ Download How To Create a Poor Image (.zip)

Tamara Janes «ow To Create a Poor Image»


Auswahl an Poor Images:



Texte:
Hito Steyerl. In Defense of the Poor Image. November 2009
Robert Smithson. Entropy Made Visible. Interview with Alison Sky. 1973
– Walter Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.
   Walter Benjamin gesammelte Schriften Band 1. Teil 2, Suhrkamp. Frankfurt am Main 1980. S. 471 - 508
Claire Lehmann. «Color Goes Electric». Triple Canopy. 31. Mai 2016

instagram.com/tamarajanes

Aida Kidane

ONGOING

Po odëžke vstrečajut, po umu provožajut
«Entsprechend der Kleidung wird man begrüßt, dem Verstand entsprechend verabschiedet.»
russ. Sprichwort



Aus der Beschäftigung mit Social Media, im Einzelnen mit Instagram, kam die Frage auf, wie ich besonders viele Follower mit meinem neu geschneiderten Latex-Mantel generieren könnte. Das «Aufsteigen» zu einem Influencer durch Zelebrieren eines besonderen Lifestyles oder durch Markieren einer starken Präsenz auf Instagram, erscheint mir uninteressant.
Vielmehr bin ich von einem Versuch der Quantenphysik fasziniert, den ich gerne auf meine Bedürfnisse übertragen möchte.
Allerdings ahne ich, dass ich die Bandbreite des Versuchs wohl nie ganz erfassen werde. Und trotzdem, oder gerade deshalb, geht eine Faszination von ihm aus und veranlasst mich künstlerisch damit zu arbeiten.

Das Experiment, von dem die Rede ist, wurde im Rahmen der Quantentheorie im Weizmann-Institut durchgeführt. Es bestätigt die These der Quantentheorie, «dass durch die Beobachtung einer Gegebenheit der Beobachter diese beeinflusst.» Hierzu haben die Wissenschaftler bei ihrem Versuch zwei unterschiedliche Ergebnisse für das Verhalten von Elektronen erhalten, je nachdem, ob sie beobachtet haben oder nicht. Mit zunehmendem Observationsgrad änderte sich das Ergebnis. Wenn die Beobachtung zunahm, wurde die Interferenz (eine Überlagerungserscheinung, die auftritt, wenn zwei oder mehr Wellenzüge dasselbe Raumgebiet durchlaufen) schwächer. Im Gegensatz dazu wurde die Interferenz stärker, wenn die Observation nachliess. Die «schwache» Observation wird gewährleistet durch «einen winzigen, aber hochkomplizierten Elektronendetektor, der vorbeisausende Elektronen aufspürt.»

Mein Experiment sieht folgendermassen aus:
Ich lasse mir einen Mantel aus Latex schneidern und lade anschliessend ein Foto davon auf meinen Instagram Account. Das Material eignet sich hervorragend als Regenschutz (Regenmantel). In meinem künstlerischen Projekt benutze ich Latex ebenso für das Umhüllen einer Raumkapsel, «eine Kapsel für den Duce».

Ziel dieses Experiments ist es nun, möglichst viele Follower auf Instagram zu bekommen, die auf meinen neuen Mantel reagieren. Einen Einfluss auf den Verlauf des Experimentes möchte ich lediglich durch das Beobachten bzw. Nicht-Beobachten nehmen. Den Versuchsablauf werde ich so gestalten, dass ich die Ergebnisse (Anzahl Follower) zehn Stunden lang festhalte, wenn ich das Geschehen auf Instagram aktiv beobachte (intensive Observierung). Im Gegensatz dazu lasse ich einen «Detektor», ebenfalls zehn Stunden lang, oberservieren. In meinem Fall könnte der Detektor ein Algorithmus auf Instagram sein, der das Geschehen festhält. Hier gibt es verschiedene Programme, die das Überwachen ermöglichen und in Form von Daten darstellen. Follower-Wachstum und die Anzahl an Interaktionen können dargestellt werden.
Ich selbst werde bei diesem zweiten Versuch nicht anwesend sein, um den Vorgang auf Instagram zu beobachten. So wie in dem physikalischen Versuch auch, müsste meine Abwesenheit (leichte Observierung durch den Detektor) mehr Follower erzeugen. Die Versuchsreihe heisst Ongoing und beschreibt einen laufenden Prozess.

Schlussfolgerung
Insgesamt müsste der blosse Akt der Beobachtung die Ergebnisse auf Instagram beeinflussen.



Einige Ongoing Gedanken

Die Übertragung des Verhaltens von Elektronen auf Social Media User beruht gedanklich auf dem Prinzip der Collage.

Ein Versuch:
Ich bringe zwei Ereignisse aus unterschiedlichen Bereichen zusammen und hoffe somit zu einem neuen Ganzen, zu einer neuen Erkenntnis zu kommen.

«Nach Webers Theorie charakterisiert einen charismatischen Herrscher unter anderem die aktuelle Rechtsschöpfung, d.h., vom charismatischen Herrscher geht ein konkreter Gestaltungswille aus, der von der ihm folgenden Gemeinschaft anerkannt wird.»

Das Beobachten als wissenschaftliche Erkenntnismethode:
In der Wissenschaft sind Beobachtungen immer auf die Auswertbarkeit der Ergebnisse ausgerichtet. Wissenschaftliche Beobachtungen erfolgen absichtsvoll. Ich bezweifle, dass mein Tun rein absichtsvoll ist, und die Schritte, die ich in meinem Experiment mache, nachverfolgbar sind. Hier liegt wohl der Unterschied zur rein naturwissenschaftlichen Beobachtung. Ziel und Zweck sind zwar mit «mehr Follower» definiert, aber das Zustandekommen von solch einem Ergebnis folgt sicherlich anderen Gesetzmässigkeiten, die ich noch nicht erfasst bzw. ausgeblendet habe.

Die Unschärfen dieses Experiments machen es zuweilen schwer, trotzdem wie ein Naturwissenschaftler vorzugehen und einen Versuchsablauf zu definieren, mit der Absicht, nachvollziehbare Ergebnisse zu erzeugen. Auch kann ich nicht abschätzen, wie sich der Verlauf dieses Experiments gestaltet und inwieweit sich ein physikalisches Phänomen auf mein Vorhaben übertragen lässt.
Wahrscheinlich muss ich eine gewisse Distanz zur Naturwissenschaft wahren und den Regeln der Kunst den Vortritt lassen.

Follow me and my coat on Instagram



Quellennachweis:

Nikolai Gogol, Der Mantel, Stuttgart 1980 Bernd Reismann, Die Charismatheorie Max Webers am Beispiel von Benito Mussolini, Langenlonsheim 2005
Wolfgang Schieder, Benito Mussolini, München 2014. Mythos Mussolini. Deutsche in Audienz beim Duce, München 2013
Friedrich Moldenhauer, Der Mussolini-Mythos. Ursprung, Ausformung und Wirksamkeit, 2009 Dresden
Rachele Mussolini, Mein Leben mit Benito, Zürich 1948

Eun Ji Kim

Is this it?
Yellow on the move

Lucie Kunz

Monsieur Marker, comment l’avez-vous fait?

Im französischsprachigen Film La Jetée von Chris Marker von 1962 gibt es immer wieder Momente, in denen sich deutsche Wissenschaftler im Flüsterton über die Zeitreise-Experimente unterhalten, die sie mit dem Protagonisten durchführen. Obwohl der Film gründlich erforscht wurde, gibt es keine Übersetzung der deutschen Texte und auch sonst nur spärliche Informationen. Seit ich diese Passagen transkribiert habe, benütze ich sie als Ausgangs-Material für verschiedene Arbeiten.
In Monsieur Marker, comment l’avez-vous fait?, benutze ich sie als fehlenden Part von Chris Marker in einem fiktiven Gespräch. Die so entstehenden Lücken und leeren Stellen, die Abwesenheit und das «im Dunkeln bleiben» interessieren mich dabei. Als ob man auf der falschen Seite stehen würde und nie einen frontalen Blick auf das Geschehen erhaschen kann. Das Setting ist bereit, doch man weiss nicht wofür.

→ Download PDF Monsieur Marker, comment l’avez-vous fait?











Daniel Kurth

Es geht um Bilder, ganz allgemein.



To The Regular People, 2017
Video Loop on Flatscreen, Sound


www.danielkurth.ch


Es geht um Bilder, ganz allgemein.

Michael Crawford hält eine Rede. Er benutzt eine einfache Sprache mit kurzen Sätzen und losen Begriffen. Dazu zeigt er Bilder von Luxusgütern – Yacht, Schmuck, Privatjet, Villa mit Infinity Pool, Range Rover. In einem selbstlobenden Monolog spricht er ununterbrochen von Erfolg,1 und davon, dass mit seiner Hilfe jeder diesen Status erreichen kann. Erfolg bedeutet für ihn Reichtum. Michael erzählt, dass er früher einmal arm war und durch harte Arbeit zum Millionär geworden ist. Er ist ein Selfmademan. Damit zeichnet er das Bild des American Dream, welcher schon lange zum globalen Traum geworden ist. Dieser ist ein wichtiger Teil; er ist ein Motor eines alles umfassenden Systems.2

Gleichzeitig suggeriert Michael, dass der Traum nicht mehr wahr werden wird; dass man mit harter Arbeit und dem unbedingten Wille zum Erfolg schon lange nicht mehr reich werden kann. Er versucht davon zu überzeugen, dass das Bild des amerikanischen Traums für gewöhnliche Menschen zur unerreichbaren Utopie, zum Mythos geworden ist.

Regular People nennt er die gewöhnlichen Menschen. Damit meint er jene, die (in Michaels Sinne) nicht erfolgreich sind. Um es mit einem medial vielzitierten Begriff zu beschreiben; etwas pathetisch: Michael spricht zu den Verlierern der Globalisierung.

Michael Crawford erklärt, dass er eine spektakulär simple Lösung für all die gewöhnlichen Menschen bereit hat. Dazu hat er (selbstverständlich ist es ein Schwindel) mit seinen Freunden eine Software entwickelt, die einem mit wenigen Klicks 100% Gewinn und garantiert keine Verluste beschert.3 Es ist eine Abkürzung mittels modernster Computertechnologie – Near Quantum Speed. Damit soll man den Weg des American Dream umgehen können und direkt zu dessen Ziel gelangen. So lautet das wundersame Versprechen des Michael Crawford aka The Wall Street Wizard. In einer Gesellschaft, in der «das Endziel nichts, die Entwicklung alles»4 ist, kann diese simple Lösung nur ein Versprechen bleiben. Es ist ein Trick – 100% garantiert.

Einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt es nicht. Es gibt nur idealisierte Bilder davon. Solche, wie sie auch im Film und in der Werbung5 gezeigt werden. Mittels Stimulation von Urbedürfnissen (Sicherheit, Nahrung, Liebe, Sexualität, Integrität, etc.) wird jeweils die Vorstellung eines utopischen Gesamtbildes evoziert. Subjektive Eindrücke werden verfestigt und ausgebaut und im Bewusstsein einer bestimmten Gruppe platziert. So wird eine (kollektive) Gedankenwelt konstruiert. Wirklichkeitskonstruktion nennt es die Soziologie, Corporate Identity die Marketingstrategie. Stereotype Bilder, Vorurteile und Klischees sind die Mittel der Wahl.

Michaels Rede gleicht einer Parodie. Man würde es Realsatire nennen, wäre es denn real. Es ist hyperreal. Michael Crawford und Quantum Code ist ein Scheinbild; ein Simulakrum.6 Die Firma präsentiert sich selbst als eine Realität, während gleichzeitig die Wirklichkeit (z.B. die Tatsache, dass es Finanzmarktzauberei nicht gibt, oder, dass es Quantencomputer noch nicht gibt) als Lüge dargestellt wird. Es ist verkehrt.7 Die tatsächliche, faktische, empirische Wirklichkeit wird zur Opposition erklärt und die Glaubwürdigkeit ihr abgesprochen. Michael Crawford würde sein Bild eine Alternative nennen.

Quantum Code, das Scheinbild welches «das Wirkliche verkehrt, wird wirklich erzeugt»8 und hat einen wirklichen Effekt. Die potenzielle Auswirkung dieses verführerischen Bildes; der einzige wirkliche Zweck davon ist es, dass Geld dafür ausgegeben wird. Ein Selbstzweck. Das Bild von Quantum Code ist ein «Inbegriff alles unechten im Leben unserer Zeit»9 und «gibt vor, von seinen Käufern nichts zu verlangen ausser ihrem Geld – nicht einmal ihre Zeit.»10

Jemand der wie Michael Crawford11 bestimmte Ziele verfolgt und dazu diese Bilder erzeugt «ist ein ethisch Verworfener, er ist der Verbrecher, der das radikal Böse will.»12

Solchen Bildern, ganz allgemein, misstraue ich.




1
Vgl.: Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Ins Deutsche übers. von Jean-Jaques Raspaud, Hamburg 1978, S. 5 (Nr. 24)
«Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die die gegenwärtige Ordnung über sich selbst hält, ihr lobender Monolog. Es ist das Selbstportrait der Macht in der Epoche ihrer totalitären Verwaltung der Existenzberechtigungen.»

2
Vgl.: Nicolas Bourriaud: Radikant. Ins Deutsche übers. von Katarina Grän und Roland Voullié, Berlin 2009, S. 9
«[...] der Beginn jener Phase des allesumfassenden Kapitalismus, die zwanzig Jahre später Globalisierung genannt wurde.»

3
Vgl.: Jason Glick in der Rolle von Michael Crawford. In: Daniel Kurth: To The Regular People. Video, 2017

4
Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Ins Deutsche übers. von Jean-Jaques Raspaud, Hamburg 1978, S. 4 (Nr. 14)
«Im Spektakel, dem Bild der herrschenden Wirtschaft, ist das Endziel nichts, die Entwicklung alles. Das Spektakel will es zu nichts anderem bringen als zu sich selbst.»

5
Anm.: Das Video To The Regular People hat hier keine werbende, sondern eine kommentierende Funktion. Es wurde nicht durch einen Akt der Aneignung zum Werk, vielmehr werden die Bilder (mehr oder weniger modifiziert) unter einem anderen Titel und anderem Namen; also in einem anderen Kontext als dem Ursprünglichen verwendet. Diese «Postproduction», wie es Nicolas Bourriaud bezeichnet, ist heute, 104 Jahre nach Duchamps «[...] Idee, ein Fahrrad-Rad auf einem Küchenschemel zu befestigen und es beim Drehen zu beobachten [...]» (Marcel Duchamp: Hinsichtlich der Readymades [1961]. In: Der kreative Akt. Duchampagne brut. Ins Deutsche übers. von Serge Stauffer, Hamburg 1992), eine längst etablierte Kulturtechnik, welche Künstler_innen weltweit genauso selbstverständlich anwenden wie es Grossindustrielle tun. «Mit Duchamp begräbt die Kunst das allgemeine Prinzip des modernen [anm.: die Epoche] Kapitalismus: sie arbeitet nicht mehr, indem sie eine tote Materie manuell umwandelt. Der Künstler wird zum ersten Konsumenten der kollektiven Produktion, einer Arbeitskraft, die sich mit diesem oder jenem Formenvorrat verbindet.» (vgl.: Nicolas Bourriaud: Radikant. Ins Deutsche übers. von Katarina Grän und Roland Voullié, Berlin 2009, S. 182-183)

6
Vgl.: Jean Baudrillard: Simulacra and Simulation (1981). Ins Englische übers. von Sheira Faria Glaser, Michigan 1994

7
Vgl.: Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Ins Deutsche übers. von Jean-Jaques Raspaud, Hamburg 1978, S. 4 (Nr. 9)
«In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen.»

8
Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Ins Deutsche übers. von Jean-Jaques Raspaud, Hamburg 1978, S. 4 (Nr. 8)
«Das Spektakel, das das Wirkliche verkehrt, wird wirklich erzeugt. [...] Ins Spektakel tritt die Wirklichkeit ein, und das Spektakel ist wirklich.»

9, 10
Clement Greenberg: Avantgarde und Kitsch (1939). In: Ute Dettmer / Thomas Küpper (Hg.): Kitsch. Texte und Theorien. Stuttgart 2007, S. 206
«Kitsch ist mechanisch und funktioniert nach festen Formeln. Kitsch ist Erfahrung aus zweiter Hand, vorgetäuschte Empfindung. Kitsch ändert sich mit dem aktuellen Stil, doch er bleibt immer derselbe. Kitsch ist der Inbegriff alles Unechten im Leben unserer Zeit. Kitsch gibt vor, von seinen Käufern nichts zu verlangen außer ihrem Geld – nicht einmal ihre Zeit.»

11
Anm.: Michael Crawford als Person ist nicht real. Dahinter steht ein Schauspieler – keine Frage. Michael wird jedoch als reale Person wahrgenommen, da er quasi als Avatar die (realen) Interessen der eigentlichen Verbrecher hinter diesem Scheinbild verbreitet. Er ist das Sprachrohr und damit die Verkörperung der Betrüger hinter Quantum Code. Seine Person ist hyperreal.

12
Hermann Broch: Kitsch und Tendenzkunst. Repräsentanz des Bösen. In: Gillo Dorfles (Hg.): Der Kitsch. Gütersloh 1977, S. 76
«Wer Kitsch erzeugt, ist nicht einer, der minderwertige Kunst erzeugt, er ist kein Nichts- oder Wenigkönner, er ist durchaus nicht nach den Massstäben des Ästhetischen zu werten, sondern er ist ein ethisch Verworfener, er ist der Verbrecher, der das radikal Böse will. [...] Jede Zeit des Wertzerfalls war zugleich eine Zeit des Kitsches. [...] Denn die Epochen des endgültigen Wertverlustes sind vom Bösen und von der Angst vor dem Bösen getragen, und eine Kunst, die ihr sinnfälliger Ausdruck sein soll, muss auch Ausdruck des Bösen sein, das in ihnen wirksam ist.»



→ Download PDF Es geht um Bilder, ganz allgemein.

Jérôme Leuba

Reality vs reality

Why am I wary of an abandoned bag?

For a number of years I have been developing a work that questions the circulation of images in the public and mediatic spheres (recurrent images, "déjà-vu", etc.). as well as the functioning of common visibilities and their effects on an audience or individuals.

This work raises questions such as:
What remains of the thousands of images brought by mass media?
Do those images constitute a conscious or unconscious mediatic memory?
Are they able to change the perception of my (our) reality?
Are they operating and acting?
Do they enable a social and political ambiance?
How are they used to capture our attention?
How is the cognitive and psychological encounter between the reality of the world brought by images and the one of the viewer constructed?

My images (video, photography or performance) focus on the relationship to the mediatization of reality. They often create, through the use of staging, a distance with the reality of an event. They evoke something. They don’t show it distinctly.
In an allusive way, they summon common references, often drawn from the mediatic sphere. They carry a sense of "déjà vu", playing with the quick gaze and interpretations formed by prejudice.
Simultaneously, they suggest a voluntary awareness, invisibility, absence, fragmentation or abstraction that suspend them while waiting to be read. The reading and experience of the viewer may then contribute to reveal a potentially common interpretation of the image. A collective interpretation more than a singular or personal one. Why am I wary of an abandoned bag?
While being harmless, my work often plays with our collective fears, paranoiac, anxiogenic or simply shifted and uncanny feelings. The reaction then provoked could be an interpretation fabricated by the invisible or latent violence produced by society.
My interest is to question this interpretation of reality driven by the time in which we live.

"Reality vs reality / 1" is a text that gathers written descriptions of images from the press. I have been collecting printed images of newspaper for years and I have sorted them according to different aspects (position of the body, number of people, recurring gestures, etc.). Describing an image with words, from the visible, is a new exercise for me. It is a matter of knowing how to emphasize specific and remarkable elements of an image. How to select and organize content that is necessarily fragmentary (text can not replace an image).
At the same time, the full potential of words can allow another visual experience. The creation of mental images produced by words is exciting because it uses memory. And memory is necessarily connected to our common life in the public sphere. If I write "9/11", "Towers on fire" or "crowd", what mental images are triggered?
The text below is an experiment, the story of a transcription of press images into text.
These descriptions function as step backs, denying any explicit link with any news. The situations they depict remain abstract. On the other hand, the position of the bodies (standing or lying), the clothes worn by the protagonists or the evocation of a context, function as strong clues to power.
Those descriptions also revolve around the mediatization of the real: how the representation of another reality (one elsewhere) is in fact part of our reality hic et nunc.
Here images, and even the represented characters, can come to life, live otherwise, elsewhere, or be recalled to our mind as absent presences.


"Reality vs reality / 2" is an autobiographical text that recalls a remarkable experience related to the encounter with an image and the misunderstanding of its interpretation.

→ Dowload PDF: "Reality vs reality"


www.jeromeleuba.com

Raphael Loosli

Delémont
«Excusez» - L’Antichrist s’est excusé



I'm thinking about the work, holding my wife in my arms. I'm grateful, I still love her so much after 10 years of marriage.

I'm thinking about thinking about.
I'm thinking about who is holding who, about thinking it and being thought.

Not thinking about.

Thinking with, not thinking together: not fellowship. Being sorry not just solidary.

No Ping-Pong. Everyone's turn all the time.

(Is it this, the perambulating metamorphosis?)








www.raphaelpeterlukas.com

Tobias Nussbaumer

Zwischen Sinnspruch und Geplauder.
Das Denken im Zeitalter seiner technischen Vernichtbarkeit

Philémon Otth

Favorite sounds (as of 10th August 2017)

The list is updated as often as necessary. It is a collection of sounds which trigger a specific sensation of pleasure, surprise, and calm. These sounds have the additional characteristics of being analog, limited in time, and the result of unspectacular action. They can be considered separately or as a whole. It’s possible to understand this list as an intimate portrait, as an acoustic landscape, or as a poem.



A project is a journey – it’s common sense. Mine has been more of a dramatic drift on the Amazon rather than a peaceful cruise on the Rhein. Rivers indeed. For years, movies like Fritzcarraldo (1982), Aguirre Der Zorn Gottes (1972), Embrace of the Serpent (2015) or Apocalypse Now (1979) have fascinated me by their capacity to show time and space. Time and space while the protagonists loose their tracks, their past, and their mind. The characters are forced to be the spectator of a transformation they can’t control, witnesses of their own loss. When they’re gone, only traces and a landscape remain. Therefore, I felt the need to make a parallel between the narrative structure of these films and the very process of working, and the way my whole practice transformed itself, silently. I aimed to make my own cinematic interpretation of these scenarios, based on an authentic and adventurous boat-on-river expedition, during which I would have filmed, written, and thought.

After abandoning the idea of filming my expedition, believing in the evocative strength of a text, I started also questioning the necessity of doing the trip itself. What need of the experience, when the idea itself was motivation? Then, a fiction was enough to tell about movement, passivity and observation. Heraclitus of Ephesus, the «Obscure», is known for saying you never step twice in the same river, to illustrate his theory of the matter's flow. We could also argue that whichever river you stand in, you stand in the same flow of water, shared around the world, within it's global circulation, between rivers, lakes and oceans. For me, a fictitious water would do the job. My story was also inspired by Joseph Conrad's novel Heart of Darkness (1899). In which the story's narrator, Marlow, traveling up the Congo River, is looking for meaning and answers personified by the mysterious ivory trader, Kurtz.

My adventure had the traditional elements of a novel; a couple of characters, few places, some actions and events. I was avoiding complete names or a clear depiction of time. To provoke a sensation of realness in the story, and to create an echo with my practice, I started adding longer descriptions of insignificant details about my surroundings. Descriptions of small things, like the jumble of little pieces of trash left along the riverbanks, the almost figurative forms found all over the boat in cracks of paint, or the sound of rain drops over the cockpit's roof.

While writing these descriptions, it became evident that the story itself was not the core of the project. I wanted to talk about a more simple, subtle, fragile layer of reality. The complexity of the narration was actually hiding more than revealing my intentions... so i got rid of the fiction too.

My journey was meant to be one of a different kind. A journey towards «less»? From this boat project, there only remain a few convictions: I'm definitely more interested in attention rather than illustration, and in realness rather than metaphors and symbols. And because I would prefer attention to illustration and realness to metaphors and symbols, I know I would prefer listening instead of telling. And my work had to take a different turn.

In ancient Japan, nobles attended hours-long concerts of silence, the musicians played their instruments without touching them. But the audience was listening. John Cage did the same in 4’33’’, and the audience was listening too. Listening is conscious hearing. But listening is also a posture. A special attitude toward the object of attention. There is indeed something contradictory in the position of the listener, but something open and beautiful too. There’s a fine balance between passivity and activity. One has to make an effort, a strain to take a special role, at least momentary. And this role is the role of a receiver. A posture necessary to be sensitive to details and the small shifts happening in our reality. Listening is a foundation to perceive and understand the world and others – to establish a dialogue with them. But it’s also, and especially, about building an awareness of oneself. Being a receptor for one’s own needs, emotions and thoughts. Listening might begin by listening oneself…

So from the river, moved by the stream, trying to listen to myself and others, I ended up compiling a list of my favorite sounds.

Gil Pellaton

Delémont
Reveries of two Solitary Walkers







By train they do this route every week, they have both a General Abonnement.
It is hard to say if it is really profitable, both have calculated it, with their own mathematics.
To Zürich or to Geneva you have to buy it for sure.
To Basel it stays unclear.
Basel is not far enough.

But it was.

Looking through the window, one of them likes to think about how it was before to do this way, with a horse and a chariot.
For the other it is a too romantic thought, but he also likes this route, because it looks nice.
They can see the castles and the nature is beautiful, changing a lot, and with snow it is amazing.
They sometimes talk in the train.
They talk about walking this way.

Delémont - Part one.

Birds are the first animals they see, flying very low today. It is going to rain.
Then some strange water spiders light enough to float on the Suze. The Suze is the river giving its name to a golden colored gentian based bitter aperitif. The suze is coming from the Jura. The Jura is the mountain range between France And Switzerland giving its name to the geological period of the Jurassic.
They are going to walk along this river the first two days. With a camera.
The Taubenloch Gorges give them a humid memory of a Breathless opening scene in the Andes mountains.

One of them talk about a movie, the other about a project.
They talk about Don Quichotte and Sancho Panza.
The one feels itself as Don Quichotte the other feels the same. (Both are rather small.)

Some cars, some cows, a pizza, the night.

The next morning the right foot of the one decides to hurt him badly.
The one buys some hiking shoes.
With leather and beautiful. Not enough to remove the pain.

Going back home by train after one day walking instead of five,
they realize that the movie begins to be a project and the project could be the movie of the movie or of the project, and the opposite as well.
And it feels good to realize that.

During the other marches, steps, walks, promenades, dawdlings, journeys and moments they film a lot.

They talk also.
About reality and cinema.
About romanticism and nostalgia.
About magic and Harry Potter.
About artworks and reflexive works.
About being stupid artists and stupid actors.

They walk together and alone at the same time.
The one thinks about how to transmit ignorance.
The other rarely says what he is thinking about.

Redfish, duckling, hen, cock, bird of prey.

At the top of the Pierre Pertuis after situating the Roman Empire in the 15 Century,
they think about what happens to a water drop falling on the one or the other side of the mountain.
The south side is going to bring the water drop to the lake of Biel by the Suze, then by the Aare and the Rhine to Basel.
The north side is going to bring the water drop to Moutier by the Birse, then Delémont and Basel.
The water here anyway is going to Basel.

The other and the one also.

Sometimes the one wants to talk about art, the other not.
Sometimes the other accepts to talk about art, sometimes not.
Once they talk so much about art, about galleries, about fame, about other artists, also badly, that the other warns the one that it is the last time for such a debate.
And so the last journey of the first part they don’t talk at all.
They just walk, without knowing what the other is thinking about.
They even don’t know if they are thinking about something.
But their body for sure are thinking or performing or functioning.
Responding or Commanding.
It works.
Their bodies arrive in Delémont, D’lémont in jurassian dialect, Delsberg in German.
Their cells and bacteria are there too.

The first part is done.

They don’t know what was reflexive in this voyage, but they spent time and reveries.
Both seem to be curious and lazy, too lazy to think with their brain.
The one loves not to know.
The other is interested in being not interested.
Both want to finnish with irony and take humor seriously.
They never talked about Promenadology.

The 7.8.2017 they export it.
The 8.8.2017 at exactly 10 AM it is born, 15.23 GB, 3 h 16 min 15 s.
It is neither a movie nor a project, neither a boy nor a girl.
They talk about adding some subtitles to it.


www.gilpellaton.ch

Mathis Pfäffli

Pivot



Pivot
Bilderbuch, 2017
20 Seiten

Jelena Savic

Auszüge aus dem Tagebuch



von links nach rechts:
Tagebuch, Zylinder Hut mit Zauberstab, Farbtuben schwarz und weiss, Pistolenschuss, Spucke, Traum, Weisser Delfin

Anna Shirin Schneider

Sie könnte Recht haben...

In der nordischen Mythologie gibt es die Erzählung von den drei Nornen. Diese sitzen an einer der Wurzeln der Weltenesche Yggdrasil und spinnen den Faden der Zeit. Damit verfügen sie über das Geschick der Welt. Es gibt Urd die Gewesene (Vergangenheit), Verdandi die Seiende (Gegenwart) und Skuld die Seien werdende (Zukunft). Urd und Verdandi sind den Mensch gegenüber wohl gesonnen. Skuld ist es nicht, denn die Zukunft ist starr und unerbittlich. Sie kann nur ausführen, was bereits angelegt ist. Sie hat keine Entscheidungsgewalt. Schon der Name Skuld gibt Aufschluss darüber, denn er bedeutet Schuld, genauer das der Vergangenheit Geschuldete. Aber es ist eine wechselseitige Schuld, denn auch Vergangenheit und Gegenwart sind schuldig, denn sie stellen die Weichen für das, was kommt und die Zukunft muss es verrichten. Sie kann nicht anders, denn sie ist die logische Konsequenz aus allem Vorangegangenen.

Ich nehme diese Erzählung als Bild für die eigene Zeit, das eigene Wirken. Ausgangspunkt dafür ist die Frage, ob und wieviel Einfluss ich selbst nehmen kann. Was ist gegeben, was ist unveränderbar und wo gibt es eine Chance zu bestimmen? Welche Strukturen, - familiär, sozial, gesellschaftlich oder genetisch - sind vorhanden? Wie bedingen sie einander und wie schwer wiegen sie?

Wieviel Spielraum gibt es?

Der Plan ist, eine zweite, eine neue Haut für mich zu fertigen. Ich habe meine Mutter gebeten das für mich zu tun. Sie wird diese für mich stricken, denn auch das Gestrickte ist eine Struktur, das Ergebnis einer stetig wiederkehrenden Abfolge der gleichen Handlungen.

Ich überlege, wie diese Haut aussehen könnte und mache vorab einige Zeichnungen. Sie erinnern an ein Kleid. Beim Material entscheide ich mich für dicke, rosafarbene Wolle.

Meine Mutter ist zu mir gekommen und fünf Tage geblieben. In dieser Zeit strickt sie. Ich sitze daneben und schaue zu. Ich gebe ihr Anweisungen, doch Einfluss kann ich nur bedingt nehmen. Sie ist die ausführende Kraft. Das Kleid ist bodenlang. Der Kopf ist gestrickt. Er hat keine Öffnung. Die Arme sind am Ende ebenfalls verschlossen. Unterhalb der Brust ist es geöffnet. Bauchnabel, Genitalien und Beine sind sichtbar.

Wir haben wenig technische Probleme. Bei handwerklichen Fragen füge ich mich ihr. Sie hat mehr Sachverstand. Meine Mutter akzeptiert meine Vorstellung des Kleides, der Form und der des Materials. Hier fügt sie sich mir. Auf der Ebene der Anfertigung gibt es keine Machtansprüche, keine Autonomiefrage und auch nicht die Frage, wer wessen Struktur übernimmt. Diese Auseinandersetzung verschiebt sich auf die Nebenschauplätze. Auf die Gespräche , die abseits des direkten Prozesses stattfinden.

Wir sind fertig.

Ich bin überrascht, wie nah es meiner Vorstellung kommt.

Meine Mutter ist weg. Ich bin allein und ziehe das Kleid an. Es ist heiß und ich bekomme schlecht Luft. Nach einigen Minuten zieh ich es wieder aus, packe es in einen Karton und stelle diesen auf meinen Schrank. Jetzt ist es ein Relikt, eine Spur. Die vorher neu gestrickte Haut ist jetzt schon eine alte, abgelegte.

Welche Haut habe ich jetzt?





Manuel Andrea Schneider

This Uncanny Feeling

Mit This Uncanny Feeling präsentiere ich Ihnen meine Reflexive Arbeit als Musikalbum.
Ich habe mich zu dieser Form entschieden, da die Musik in meiner Praxis eine ähnliche Funktion einnimmt wie das Schreiben beim schreibenden Künstler, nämlich, die einer aus Entfernung beobachtenden und reflektierenden Instanz.

Basel, der 10. August 2017



→ Download This Uncanny Feeling

Inka Ter Haar

Teaser!


Magazin / DinA4 / 28 Seiten / Inka ter Haar / 2017

Florian Thate

Meine Exoprothesen / Werkzeuge

Wenn ich von meinem «Werkzeug» spreche, dann meine ich in der Regel Alltagsgegenstände, welche ich zu Hilfsmitteln für meine künstlerische Arbeit umfunktioniert habe, um meine vorab festgelegten Ideen und Projekte umzusetzen. Meist finde ich diese Gegenstände vor Ort, sodass der Raum, das Werkzeug und letzten Endes die Arbeit in engem Bezug zueinander stehen und einen Zusammenhang bilden. Voraussetzung für die Auswahl der von mir gewählten Gegenstände ist eine hohe Stabilität, da sie Druck und Widerstand standhalten müssen, sich aber während der Arbeit verändern dürfen.

Mich interessiert an den Gegenständen, welche Spuren sie im Material hinterlassen, wenn diese unter hohem körperlichen Kraftaufwand eingesetzt und damit Oberflächen aufgebrochen, zerkratzt und untersucht werden. Während des Bearbeitens ist der gesamte Prozess eine Erfahrung mit allen Sinnen: Es geht um das Hören der Geräusche, das Sehen der sich verändernden Materialität, das Fühlen des Widerstandes, aber auch um die Erfahrung, im Rahmen des Arbeitsprozesses seine physischen Grenzen auszuloten. Der Vorgang lässt sich nicht wiederholen, was freigekratzt wird lässt sich nicht mehr wegwischen. Es ist möglich, diesen Prozess mit einem ähnlichen Werkzeug zu wiederholen, jedoch zeigt sich niemals das gleiche Resultat. Durch den stark physischen Umgang mit den Werkzeugen bzw. Prothesen verändern diese auch ihre Ursprungsform und weisen Gebrauchsspuren auf, die während des Arbeitens entstanden sind. So bestimmt das Ende des von mir festgelegten Arbeitsprozess, die Form z.B. verbiegen, oder Abrieb des von mir ausgewählten Gegenstandes.

Die Exoprothese ist eigentlich ein Ersatz von fehlenden Gliedmaßen, die etwas vorgeben, das sie nicht sind. Z. B. kann ein fehlendes Bein mithilfe einer Prothese simuliert und vorgetäuscht werden. Diese sind außerhalb des Körpers angebracht und sichtbar, wohingegen die Endoprothese innerhalb des Körpers angebracht ist.
Für mich sind meine Prothesen/Werkzeuge vergleichbar mit einer Exoprothese: Sie stellen eine Verlängerung meiner Hände dar, die einem Werkzeug ähnlich sind; jedes Einzelne dieser Werkzeuge wird von mir so präpariert, dass ich es so gut wie möglich unter extremen Bedingungen greifen kann. Gleichzeitig transportiert es Schwingungen, Widerstände und ich fühle den direkten Prozess, der zwischen mir, der Prothese, dem Material/Wand/Raum stattfindet.

Demnach liegt diesen Prothesen/Werkzeugen eine gewisse Simplizität zugrunde, welche der Vorstellung einer technisch ausgereiften Prothese widerspricht, die für eine möglichst lange Haltbarkeit entwickelt wurde. Die gewählten Werkzeuge/Prothesen modifiziere ich zwar zu meinem Zweck aber nur im notwendigen Maße, sodass ihre ursprüngliche Funktion durchaus noch erkennbar bleibt. Somit sind sie nur für den einmaligen Gebrauch gedacht und werden kein zweites Mal verwendet. Wie bereits erwähnt, suche ich vor Ort nach dem geeigneten Werkzeug zur Umsetzung meiner Arbeit. Dies bedeutet, dass die gesamten Räumlichkeiten nach dem geeigneten Hilfsmittel untersucht werden. Ergo ist der Findungsprozess und Herstellungsprozess eines Werkzeuges/Prothese ein wesentlicher Bestandteil meines Wirkens. Die Spuren, welche sich in meine Arbeiten zeichnen, sind von der Beschaffenheit der von mir gewählten Prothesen abhängig und können in unterschiedlichen Abläufen stattfinden: Kratzen, Pressen, Schaben oder Ritzen sind Beispiele für meine Vorgehensweise, mit denen ich mich in den Raum einkratze/schreibe und somit Spuren und Strukturen hinterlasse. Es findet immer ein Abtragen während des Arbeitens statt, anders wie bei der Schrift mit Pinsel oder Füller, wo es zu einem Auftragen von Farbe kommt.

Ich sehe den Prozess meiner Arbeit auch als ein Einschreiben in die Oberfläche des Materials. Der entstehende Text wird dabei wesentlich von meinem Werkzeug, meiner Prothese beeinflusst, ebenso wie durch meinen Körper, der die Bewegung und den Radius sowie die Stärke der Abtragung beeinflusst. Das Resultat ist jedoch kein linear lesbarer Text. Vielmehr sind es Spuren einer Performanz, die als Zeichen eines Prozesses im Material zurückbleiben. Die Bewegung, welche eingeschrieben wurde, korreliert sodann mit der Lesebewegung des Betrachters.

Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Deckel
4,5 x 13 x 3,5 cm



Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Messer
3,5 x 23 x 4 cm



Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Löffel
4 x 11,5 x 4 cm



Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Alustück
4,4 x 13 x 5 cm



Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Löffel
4,5 x 24 x 4,5 cm



Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Gabel
3,5 x 19 x 3 cm



Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Stein
2 x 9 x 3,5



Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Florian Thate «Meine Exoprothesen / Werkzeuge»

Geldstück
3 x 8,5 x 3 cm


Ambra Viviani

Die Sieben Letzten Lieder


Die Sieben Letzten Lieder
Libretto, 2017
48 pages


Tanja Weidmann

Ohne Titel (Agens)
2017

Meine Performance ist ein Versuch, mich mit meinen Widerständen auseinanderzusetzen, das mir Fremde zu reflektieren und in eine Interaktion mit ihm zu treten. Die Performance stellt ein Vehikel als Protest gegen verschiedene Formen der Beeinflussung durch einseitige Wertungen dar. Über das Trommeln auf meinen Körper (Rhythmus und Klang) möchte ich eine Kraft (Aktion und Passion) erzeugen, die etwas abhört (Echo). Ich versuche, unbekannte Teile in mir zu evozieren und erlebbar zu machen, über eine Improvisation, wo durch Offenheit und Durchlässigkeit Fremdes und Eigenes sich verflechtet.


Geist und Geister

An einem Bahnhofplatz sass eine junge Frau auf einer Decke mit Kissen am Boden und meditierte. Neben ihr befand sich ein zweites Kissen, so dass es möglich gewesen wäre, mit zu meditieren. Der Bahnhofplatz ist ein Knotenpunkt, er verbindet ein lokales und regionales Verkehrssystem. Der Platz funktioniert nach bestimmten Regeln und hat eine öffentliche Funktion. Er steht für Bewegung, Geschwindigkeit und ist ein Durchgangsplatz für viele Pendler und Reisende. Die junge Frau setzte dem Ort etwas Gegenteiliges entgegen, indem sie sich anders als ihre Umgebung verhielt. Ihre Geste der Meditation als aktive Tätigkeit, die in sich dennoch ruhig ist, führte zu einem neuen Blick auf die Umgebung. In einem öffentlichen Durchgangsraum, der eher für Bewegung steht, blieb sie sitzen und öffnete für sich einen eigenen, neuen Raum. Sie stellte an dem Ort etwas Fremdes und Unübliches dar. Das führte mich zum Gedanken, einem Ort, der bestimmte Funktionen erfüllt, über andere Mittel erweiterte Komponenten hinzuzufügen. Wenn jemand etwas Unübliches macht und Andere mitmachen, kann daraus Neues entstehen. Es kann sich ein neuer Gedankenraum, ein Raum als Möglichkeit oder Potential, auftun.

Um weisse Flecken zu vermeiden, wurden auf der mittelalterlichen Ebstorfer Weltkarte anstelle der noch unbekannten Gebiete (vorwiegend Afrika und Indien) Wundervölker und Wundertiere eingezeichnet. Die Karte entsprach keiner geografischen Aufzeichnung, sondern stellte eher ein Weltbild dar, das in sich Weltchronik, Naturbuch, Monsterkatalog und heilgeschichtliche Werke vereinte. Je mehr in die unbekannten Gebiete vorgedrungen wurde, desto mehr verschwanden die weissen Flecken und die Wundervölker und Wundertiere wurden an den Rand der Karte verdrängt. Die damalige allgemeine Auffassung war, dass die Fabelwesen, Monster und Ungeheuer nicht imaginierte Wesen waren, sondern, obwohl es keine Erklärung für ihre Erscheinung gab, real existierten. Trotz der Verdrängung glaubten viele weiter an die Fabeln. Das Beispiel der Weltkarte verdeutlicht, wie sich über die Entdeckung und Errungenschaft neuer Gebiete eine Anschauung verändern kann, ebenso wie die Gebiete selbst eine Umwandlung gemäss der Anschauung ihrer Entdecker und Eroberer erfahren können. Sowohl im Mentalen als ihm Realen finden Umschreibungen und Umbildungen statt, die bestimmten sich verändernden Regeln unterworfen sind.

Wenn etwas Überschrieben wird, was passiert dann mit dem Vorherigen? Verbirgt sich dahinter gleichzeitig noch das Andere? Judith Butler schreibt in dem Buch Fühlen, was im anderen lebendig ist Hegels frühe Liebe: «Das Objekt muss sich entfernen, etwas anderes werden. Wenn es zurückkehrt wird es untrennbar, auch wenn es fremd ist.» Könnte das so verstanden werden, dass Dinge überzeichnet werden können und wenn wir versuchen, das Davor und das Danach zu verstehen, wir über unser Zutun und Handeln den Zusammenhang verändern können? So könnte in der Differenz oder dem Schnittpunkt des Überschreiben einen neuen Zusammenhang entstehen, da etwas zusammengeschlossen wird und nicht verdrängt. Vielleicht wäre dies ein Balancieren zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten. Das Wort Wunder bedeutet im Mittelhochdeutschen: Merkwürdig, Kuriosität, Neugier oder auch Ungeheuer, als Adjektiv kann es sowohl mit wunderbar, aussergewöhnlich, unbegreiflich, wie auch mit seltsam, sonderbar oder merkwürdig übersetzt werden. Die weissen Flecken wurden auf der Ebstorfer Weltkarte durch Wundervölker und Wundertiere ersetzt. Interessant ist, dass das Fremde mit dem Begriff Wunder bezeichnet wurde, dass in sich Offenheit und Neugier gegenüber dem Kuriosen vereint. Ein System ist wahrscheinlich desto stärker, je vielfältiger es ist. Ein komplexes Netzwerk kann weiterbestehen, auch wenn ein Teil kaputt geht. Schlechtes wird nicht verdrängt, sondern die Mechanismen und Zusammenhänge werden ergründet. Es stellt sich die Frage, inwiefern das Fremde in mir selbst unbekannt ist? Versuche ich, meine Monster, Geister und Ängste fort zu vertreiben, sie zu hetzen oder sie zu implizieren? Wie nahe ist mein Geist meinen Gespenstern?
Das Wort Monster leitet sich vom lateinischen Verb monstrare ab, das «auf etwas hinweisen», «auf etwas hindeuten» oder «etwas zeigen» bedeutet. Gleichzeitig liegt dem Wort Monster das Verb monere zugrunde, was «mahnen» und «warnen» bedeutet. Das Wort Demonstration wurde aus monere zu demonstrare hergeleitet und bedeutet «genau zeigen», «hinweisen» und «verdeutlichen». Bis zu dem Zeitpunkt der Distanzierung vor dem Göttlichen hatte das Monster die Funktion einer Demonstration des göttlichen Willens. Das Monströse kann etwas Bewusst machen und gleichzeitig vielleicht auch ein Gefühl des Unheimlichen auslösen. Slavoj Žižek schreibt in dem Buch Weniger als nichts: «Weil der Geist Teil der Natur ist, weil er nicht in die Natur eingreift – die bereits konstituiert ist, woanders fertig gestellt wurde – sondern durch deren Gestörtheit aus ihr hervorgehen muss, gibt es keinen Geist (Vernunft) ohne Geister (obszöne Gespenster) – der Geist wird auf immer von Geistern heimgesucht.» Somit besteht eine elementare Verknüpfung als Disposition zwischen dem Geist als bildendes Bewusstsein und dem Geist als obszönes Gespenst. Die Vernunft wird aufgrund eines strukturellen Komplexes beständig von der obszönen Erscheinung ihrer Geister heimgesucht. Wenn Fabelwessen stellvertretend für das Monströse betrachtet würden, könnten diese möglicherweise als etwas Wunderbares und Aussergewöhnliches fungieren.


Arnaud Wohlhauser

Vous entendez la musique?



There can be no verbal squabble if a gigantic noise, coming from a new source, covers up every voice with its static. The usual procedure in battles of airwaves and images: jamming. (…) And we no longer remember that the (now quite rare) word noise, used (in French) only in the sense of quarrel –in the expression chercher noise (to pick a quarrel)– that this word, in the Old French from which it comes, meant tumult and furor. English took from us the sense of sound while we kept that of battle. Still further back, in the original Latin, the heaving of water could be heard, the roaring and lapping. Nauticus: navy, nausea (do we get seasick from hearing?), noise.

Michel Serres, The Natural Contract, The University of Michigan Press, 1995



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